Am Freitag, den 22.11. kamen 150 Studierende aus Hannover zusammen, um einen schwarz-weiß Film zu schauen:
In „Zeit aus den Fugen“, das erste Stück, das für das Konzept des Studierendensalons ausgewählt wurde, begegnen uns Szenen aus den 50er Jahren. Das schlichte, aber sehr gelungene Bühnenbild von Valentin Baumeister lässt uns schnell glauben, wir säßen im Kino, so cineastisch sieht alles aus. Im nebligen Grau der Handlung finden zuerst ganz unscheinbar, doch nach und nach immer auffallender farbige Objekte ihren Weg auf die Bühne. Das Publikum bekommt zusammen mit dem Protagonisten Ragel Gumm, gespielt von Torben Kessler, das Gefühl, dass irgendetwas mit Zeit und Raum nicht stimmt. Gumm, der sich in einer Welt voller Ungereimtheiten aufhält, wirkt zu Beginn verwirrt, vielleicht sogar psychotisch. Erst als die Zuschauer*innen auch den Gesprächen von Bill Black (Bernhard Conrad) und seinen Komplizen lauschen dürfen, wird klar, dass die Psychose in Wirklichkeit keine ist. Als Gumm das endgültig begreift, ist der Großteil des Stücks bereits vorbei – ohne dass der wahre Kernkonflikt Anklang gefunden hat. Denn erst kurz vor Schluss wird Gumm das Ausmaß seiner Existenz und der seiner Scheinwelt bewusst und er wird von urplötzlich anwesenden „Mondbewohner*innen“ zur Wahl gestellt: Mauern einreißen, die Erde „befreien“, die Welt retten oder zurück in die Scheinwelt, das einfache Leben leben, wo Entscheidungen leichtfallen und Aufgaben machbar erscheinen – eine ultimativ schwere Wahl, die viel zu wenig Raum im Stück bekommt. „Schwarz und weiß“, „richtig und falsch”, „Ja oder Nein” sind also das zugrundeliegende Thema des Stücks und sollen später auch Kern der Diskussion werden.
Nach etwas mehr als eineinhalb Stunden verlassen wir den vernebelten Saal und begeben uns ins Foyer, um dort ins Gespräch zu kommen. Es bilden sich Schlangen an der Bewirtungstheke, auch wenn enttäuschte Blicke über Preise und Größe der kühlen Getränke nicht selten sind.
Auf dem Podium sitzen bereits Lea Dohm, Diplompsychologin und Aktivistin des Bündnisses „Psychologists for future” und Moderator des Schauspiels. Es sind reichlich Studierende und Nicht-Studierende geblieben. Die Bereitschaft zum Austausch scheint groß. Während Dohm erklärt, was eine Psychose ist und dass sie Gumm keineswegs als krank, sondern eher als sehr gesund bezeichnen würde, trudeln auch die Schauspieler*innen Sabrina Ceesay (im Stück: June Black) und Bernhard Conrad ein (letzter mit Herri und Brezel in der Hand, womit er den studentischen Flair der Veranstaltung ungewollt, aber doch sehr gekonnt unterstreicht und einige Sympathiepunkte erntet). Schnell fokussiert sich das Thema der Diskussion und wir befinden uns mitten in einer Aktivismus-Debatte: Engagieren, ja oder nein? Warum sollte ich? Warum tun wir es vielleicht viel zu selten? Warum sind einfache Scheinwelten so verlockend für uns? Viele der Anwesenden melden sich zu Wort, werden manchmal inhaltliche Fragen, manchmal verschiedene Standpunkte und manchmal klare Meinungen los und versuchen eine Debatte anzufeuern, die doch noch nicht so ganz in Gang kommen will. Zu viel wird über (gesellschaftliche) Blasen, Sommerurlaube und Psychosen geredet, zu wenig über die vielen Grau-Abstufungen, die es zwischen Schwarz und Weiß noch gibt.
Zu oft wird einander noch nicht so gut zugehört, wie es bei einer Debatte von grundlegender Wichtigkeit ist. Doch immerhin ist es der erste Studierendensalon und alle Beteiligten müssen noch etwas miteinander warmwerden.
Warm wird es dann anschließend in der Cumberlandschen Galerie, wo wir Studierende das tun, was wir vermeintlich am besten können: feiern. Dafür legen Spoonman DJ und Django aka Detective Funk auf und an der Bar gibt es doch tatsächlich Getränke zu studierendenfreundlichen Preisen. Die Cumberlandsche Galerie bietet mit ihren mehreren Stockwerken auch genug Platz, um sich zwischen ausgelassenem Tanz im Erdgeschoss und weiteren Diskussionen im kleineren Kreis in den oberen Stockwerken zu entscheiden. Fast schon familiär kommt einem das Ambiente da vor und die bunten Lichter und das farbenfrohe Treppenhaus entführen uns schnell aus der schwarz-weiß Welt, die Laura Linnenbaum mit ihrer Inszenierung von „Zeit aus den Fugen“ geschaffen hat.
Drama. Diskurs. Disco. Alle drei Teile des ersten Studierndensalons waren kurzweilig, inspirierend, unterhaltsam und lassen dennoch Luft nach oben. Genau, wie es sich die erste Veranstaltung einer neuen Reihe gehört.
/lk
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