Kinderschänder! Ja, genau das, dachte ich, seien Pädophile. Und mit Sicherheit bin ich da nicht der einzige. Regelmäßig ist in der Presse von Kindesmissbrauch die Rede. „Eklig“, „abartig“, „unnatürlich“ sind nur einige Adjektive, die großzügig in diesem Zusammenhang fallen. Nicht zuletzt fordern einige in diesem Kontext sogar die Todesstrafe. Mit diesen Eindrücken habe ich das Seminar „Pädophilie“ im Rahmen der SexMed-Projektwoche besucht- und wurde überrascht. Nur so viel vorweg: Pädophilie und Kindesmissbrauch sind nicht annähernd dasselbe und sollten nicht miteinander verwechselt werden.
Daten und Fakten
Wie der Wortstamm vermuten lässt, ist Pädophilie laut ICD-10 eine „Störung der Sexualpräferenz“, genauer eine „[…]Sexuelle Präferenz für Kinder, Jungen oder Mädchen oder Kinder beiderlei Geschlechts, die sich meist in der Vorpubertät oder in einem frühen Stadium der Pubertät befinden.“ (F65.4). Männer sind tausendmal häufiger als Frauen betroffen. Aus der Definition lässt sich schließen, dass Pädophilie auch alle Präferenzen aus dem LGBTQIA*+-Spektrum annehmen kann. Sie wird nur dann als solche angesehen, wenn die Präferenz von Kindern, der gegenüber von Erwachsenen klar überwiegt.
Abgrenzung zu kriminellen Handlungen
Besonders wichtig ist die Abgrenzung sexueller Neigungen und Präferenzen (Pädophilie) zu sexuellen Handlungen (Pädosexualität). Ersteres ist nicht strafbar, letzteres fällt unter das Kinderschutzgesetz und beinhaltet neben Geschlechtsverkehr auch andere Komponenten wie den Konsum von Kinderpornographie. Und vor allem: Lediglich 20% der Missbräuche sind auf Pädophile zurückzuführen. Die meisten der Kindesmissbräuche, wie sie in den Nachrichten beschrieben werden, sind Beziehungstaten aus dem nicht pädophilen Spektrum. Entscheidende Risikofaktoren für den Missbrauch durch Pädophile sind soziale Isolation, sowie die Unfähigkeit des Betroffenen, über seine Neigung zu reden. Darüber hinaus ist, der mitgebrachten Scham Betroffener entgegen, häufig mit einer erhöhten Exposition mit lusterregenden Reizen zu rechnen, zumal viele auch amouröse Verhältnisse mit Kindern aufbauen. All dies kann dazu führen, dass aus einer Neigung eine Straftat wird.
Was tun?
So wie jede sexuelle Präferenz ist Pädophilie nicht heilbar. Daher muss das Ziel lauten: „Kein Täter werden.“ Das ist auch der Name des präventiven Netzwerkes, bei welchem sich gemeldet werden kann, sofern ein*eine Betroffene*r befürchtet, dass er*sie übergriffig werden könnte. Präventive Ansätze erfolgen nach sorgfältiger Anamnese. Wie bereits erwähnt, ist grundsätzlich die Exposition mit Kindern ein Faktor, der sexuelle Handlungen begünstigt. Nun sind Kinder ein Teil der Gesellschaft und des alltäglichen Lebens. Somit wird Betroffenen im Netzwerk geraten, sich weniger in Situationen zu begeben, wo viele Kinder sein könnten z.B. im Kindergarten. Nicht zuletzt das erfordert das die Einbeziehung der Angehörigen. In Kombination dazu macht eine Verhaltenstherapie Sinn, bei welcher der*die Patient*in lernt, seine*ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten, insbesondere bei expliziten Risikosituationen. Vor allem hier sind angemessene Empowermentstrategien wichtig, bei welchen die Person Verantwortung für ihr Handeln übernimmt.
Sexuelle Impulse können auch medikamentös durch Libidosenkung (via SSRI und Antiandrogenen, letztere nur bei Männern) kontrolliert werden. Leider ist das Netzwerk „Kein Täter werden“ nicht für bereits übergriffig Gewordene verfügbar, und leider geht das erstmalige Vergehen mit einem erhöhten Risiko einer Wiederholungstat einher. Besonders hier könnten wir in Hinsicht auf Prävention und Gesundheitsförderung noch eine große Aufgabe vor uns haben.
Was können wir als Gesellschaft tun?
Zwei der wichtigsten Risikofaktoren, übergriffig zu werden, nämlich die soziale Isolation und die Unfähigkeit, über seine Neigungen zu reden, sind gesellschaftlich beeinflussbar. Einmal ist es daher wichtig, Pädophilie eben nicht zu als Verbrechen oder unmoralisch zu stigmatisieren. Kein Mensch kann etwas für seine sexuellen Neigungen. Es wäre vielen Leuten geholfen, wenn offen über Pädophilie gesprochen werden könnte. Die aufzustellende Positivforderung lautet somit, den Menschen mit der Störung seiner Sexualpräferenz zu akzeptieren. Für ein inklusives Miteinander ist festzustellen, dass Pädophilie mit mehr als einer Viertelmillion Betroffener kein Randgruppenphänomen, sondern inmitten unserer Gesellschaft ist.
Hier geht’s zum Netzwerk „Kein Täter werden.“ à https://www.kein-taeter-werden.de/
Und hier zu einer Reportage von Rabiat mit einem Erfahrungsbericht à https://www.youtube.com/watch?v=vogs4NzqI3Q
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