AStA der Medizinischen Hochschule Hannover

Neue Grenzen politischen Aktivismus

Ein kritischer Blick auf die besorgniserregenden Entwürfe für ein neues niedersächsisches Polizeigesetz und die Folgen einer Versicherheitlichung der Debatte.

 

Noch vor der Sommerpause möchte der niedersächsische Landtag ein neues Polizeigesetz behandeln. [1]

Vorbild für die Verschärfungen ist das Bundespolizeigesetz, das bereits für das neue Polizeigesetz in Baden-Württemberg Modell gestanden hat.

Neben der niedersächsischen Landesregierung arbeitet auch die Regierung von NRW daran u.a.

  • verdachtsunabhängige Kontrollen und racial profiling zu legalisieren [a]
  • Präventivhaft (bis zu 74 Tage) einzuführen [2]
  • flächendeckende, obligate Gesichtserkennung umzusetzen.[1,2]

Während sich die öffentliche Debatte auf beschämend niedrigem Niveau bewegt und sich v.a. um die Anzahl der Tage Präventivhaft dreht, werden die damit verbundenen Einschränkungen des Grundrechts ignoriert:

Wer sich politisch engagiert, eventuell sogar protestiert, sieht sich mit einem immer weiter anschwellenden Kanon der Repression konfrontiert.

Wer nun glaubt, ihn ginge das nichts an, da er weder das eine, noch das andere macht, der irrt:

 

»rechtswidrige Maßnahmen rassistischer Diskriminierung«

Der Bundesverband ausländischer Studierender (BAS) hat bereits in einer Pressemeldung seine Besorgnis und Kritik angesichts der geplanten Änderungen geäußert. Derzufolge sieht der BAS in dem racial profiling und der geplanten Ausweitung von den DNA-Analysen auf phänotypische Merkmale »rechtswidrige Maßnahmen rassistischer Diskriminierung«.[3]

Verdachtsunabhängige Kontrollen im öffentlichen Raum, wie sie für NRW vorgesehen sind, zeigen, dass staatliche Repression weit mehr umfasst als Wasserwerfer und Tränengas und sich längst nicht mehr nur gegen Hooligans und steinewerfende Demonstrant*innen richtet. Sie ist ein Instrument, um die Interessen der Regierung, die, da sie indirekt von uns durch eine Wahl legitimiert wurde, unsere sein sollten, durchzusetzen. In jeder Konstellation, in der Einzelne oder Gruppen »an der Macht sind« und andere regieren, wird um diese Macht gerungen. In demokratischen Systemen geschieht dies durch Parlamente in Form parlamentarischer Kontrolle und regelmäßigen Wahlen. Dabei wird der Regierung ein Gewaltmonopol zugesprochen. Mit diesem soll in einem parlamentarisch festgelegten Rahmen die staatliche Ordnung, das heißt vor allem die Einhaltung demokratischer Prinzipien, gewahrt werden.

 

Unnötige Verletzung von Grundbedürfnissen

»Gewalt kann man als jede unnötige Verletzung von Grundbedürfnissen definieren« [6]

Versteht man Privatsphäre, das Recht zur freien Meinungsäußerung, das Recht auf Versammlungsfreiheit u.v.a.m. als Grundbedürfnisse, bedeutet jede Einschränkung die Ausübung von Gewalt. Dazu sollte es nur zur Durchsetzung der demokratischen Prinzipien kommen.

Die zunehmende Videoüberwachung, verdachtsunabhängige Kontrollen, racial profiling und der Wunsch nach Möglichkeiten, digitale Kommunikation noch umfassender zu kontrollieren, sind dazu aber nicht geeignet. Im Gegenteil: sie untergraben sie!

 

Ziele von Repression

Weshalb also sollten gerade diese Möglichkeiten und Spielräume staatlicher Gewalt weiter legalisiert und ausgebaut werden? Um diese Fragen zu beantworten, muss man sich die Ziele, die mit Repression verfolgt werden anschauen:

  1. Abschreckung/Vorbeugung z.B. durch Sammeln von Daten
  2. Konfrontation z.B. im Demonstrationskontext (Reiterstaffeln, Wasserwerfer etc.)
  3. Vergeltung und Strafverfolgung z.B. durch Bußgelder, Festnahmen, Prozesse und Denunziationsplattformen

Insbesondere Punkt eins, die Abschreckung, aber auch Punkt drei, die Strafverfolgung, lassen sich mit o.g. Methoden verbessern. Es kann also angenommen werden, dass die in dem neuen Gesetzesentwurf beschriebenen Maßnahmen genau darauf abzielen.

 

Weshalb aber sollte der Staat seinen Souverän abschrecken wollen?

Kurzfristig um politischen Aktivismus, vor allem progressiver Bewegungen, einzugrenzen. Langfristig steht dahinter aber eine Verschiebung der Herrschaftsverhältnisse. Demokratie, aus dem griechischen dēmos und kratós, bedeutet Herrschaft des Volkes. Repression drängt, seiner Etymologie entsprechend, Einzelne, politische Positionen, Ethnien usw. in einen Zustand der Nicht-Partizipation zurück. Entweder versteht man die zurückgedrängten Personen/-gruppen, ihres definitionsgemäßen Mitbestimmungsrechts beraubt, nicht länger als Teil des Volkes und gibt sich der Illusion einer funktionierenden demokratischen Gesellschaft hin, oder erkennt einen fatalen Demokratieabbau.

 

»Die schleichende Umerziehung zur Unmündigkeit ist ein Problem«

Im Sinne einer Demonstration staatlicher Gewalt wird damit auch eine Grenzziehung in den Köpfen vorangetrieben.

An den o.g. Punkten eins, Abschreckung, und drei, Konfrontation, lassen sich zwei Ebenen von Repression unterscheiden:

  1. die gedankliche Selbstzensur und
  2. der direkte Maßnahmen (Ausweiskontrollen; Durchsuchungen von Personen, Taschen, Wohnungen, PCs; Vorladungen etc.)

Während der Hieb eines Schlagstocks oder eine Durchsuchung sicher eine sehr unangenehme Erfahrung sind, stellt vor allem die schleichende Umerziehung zur Unmündigkeit ein Problem dar.

 

PS: Das Niedersächsische Landesministerium für Inneres und Sport hält eine allgemeinverständliche Synopsis des Gesetztentwurfs und der geplanten Änderungen unter Verschluss.[5]

Dankenswerterweise haben freiheitsfoo.de und die Braunschweiger Gruppe Digital Courage eine solche erstellt: https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/Synopse-NdsSOG-NPOG-E-20180119-20180508-final3.pdf

 

Informiert euch und andere, teilt eure Meinung unter dem Hashtag #NoNPOG.

/jw

 

Quellen

[1] Seng, Marco Neues Polizeigesetz soll weiter verschärft werden in Hannoversche Allgemeine Zeitung, 25.04.18 URL: http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Niedersachsen/Niedersachsen-Neues-Polizeigesetz-soll-weiter-verschaerft-werden

[2] Gesetzentwurf Niedersächsischer Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18/850

[3] Pressemeldung 07.05.18 Bundesverband ausländische Studierende Neue Polizeigesetze in Niedersachsen, NRW und Bayern: Drohende Schikane für ausländische Studierende

[4] Im Bundestag notiert: racial profiling Inneres/Antwort – 14.01.2013 (hib 012/2013) URL: https://www.bundestag.de/presse/hib/2013_01/07/251836

[5] Pressemeldung 16.05.18 freiheitsfoo.de URL: https://freiheitsfoo.de/2018/05/16/npog-synopse2/

[6] Defintion nach J. Galtung Galtung 1996 s. dazu auch Medical Peace Work Course Book 1

Erklärungen:

[a] Als Racial Profiling bezeichnet man ein auf Stereotypen und äußerliche Merkmale gestütztes Agieren von Polizei- und Sicherheitskräften.  Racial Profiling, z.T. auch ethnisches Profiling genannt ist Ausdruck institutionellen Rassismus. Die Bundesregierung erklärte 2013 »Ein solches ›racial profiling‹ werde innerhalb der Bundespolizei nicht angewandt« [4]